Ich wäre am liebsten heute noch Jugoslawin


Die Flucht in die Schweiz war lange her, der Krieg in Bosnien eine ferne Episode im Leben unserer Autorin. Doch dann kam der Abend, an dem er sie einholte. Was war damals wirklich passiert? Ein Stück Geschichtsschreibung in eigener Sache.

Texterscheinung: NZZ – Magazin Geschichte, 01.02.2024, Ressort: Magazine, Seite: 51 (Heft kaufen : https://shop.nzz.ch/Geschichte)

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Von Tanja Miljanović

Im Sommer 2009 fuhr ich von Bern nach Stansstad, stellte mich breit in der Küche meiner El­tern auf und verkündete, dass ich meinen sicheren und gut bezahlten Job kündigen und ein Jahr um die Welt reisen würde. Vater lächelte. «Gut, geh. Aber kommst du nach Sidney oder Toronto, besuchst du meine Cousinen. Das gehört sich.» Ich stutzte, denn Verwandte kannte ich nur in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Und in Ex-Jugoslawien, das war ja klar. Aber Vater wink­te ab: «Ach Kind, der Krieg hat uns wie der Wind die Asche in alle Ecken der Welt verstreut.»

Das Flugzeug hob ab. Ich schaute nach unten auf die immer kleiner werdende Schweiz und freute mich auf das Abenteuer. Nepal, Sri Lanka, Neuseeland. Und dann ein halbes Jahr später Sidney. Papas Cousine Jelica und ihr Mann Luka freuten sich über unseren Besuch. Sie holten uns am Flughafen ab, obwohl wir uns auf ein Taxi geeinigt hatten, annullierten unser Hotel, weil bei ihnen doch Platz genug sei, zeigten uns vier Tage lang die Aussichtspunkte und die Strände und führten uns «junge Leute» in die besten Restaurants der Stadt aus. «Bosnische Gastfreundschaft mit australischem Überschwang – eine ge­lun­gene Integrationsgeschichte», flüsterte ich mei­nem Freund zu.

Nur einmal assen wir bei Luka und Jelica zu Hause. Doch einmal reichte, damit geschehen konnte, was geschehen musste, sobald Menschen aus meiner alten Heimat gemütlich und vertraut werden: Das Gespräch landete in Jugoslawien und im Krieg, als wäre es ein Natur­gesetz. Der Krieg in Ex-Jugoslawien zwischen 1991 und 1995 war für die meisten Menschen der ­Region eine Zäsur: Kern und Ursprung vieler ­unerwarteter Lebensgeschichten. Darauf war ich vorbereitet.

Nicht erwartet hatte ich, dass an jenem Abend des 27. April 2010 ein bis dahin diffuser Krieg der anderen zu meinem Krieg werden würde. Dass er mich holen und sich wie ein Dolch in meinen Magen bohren und sich dort einmal kräftig drehen würde. Wir sassen und assen, und Luka erzählte von den Anfängen, den widersprüchlichen Nachrichten im Radio und Fernsehen, je nachdem, ob man einen serbischen, kroatischen oder bosnischen Sender hörte. Er erzählte von der Angst und der Mobi­lisierung. Vom Nationalismus, der wie ein Virus einige befiel und andere nicht. Er sprach über die Verwirrung und die Ohnmacht gegenüber Ereignissen um Tuzla herum, in seinem und meinem Bosnien, die stattfanden und doch einfach nicht wahr sein konnten.

Er war Jurist mit dem Spezialgebiet Immo­bilien. Sie Englischlehrerin. Sie wollten nicht weg. Sie hatten gute Jobs, eine eigene Wohnung. Doch immer mehr Leute um sie herum begannen «wegzugehen», denn «fliehen», das tat man nicht. Konnte man nicht. Dafür hätte man sich den Krieg eingestehen müssen, und das ging nicht. Nicht bevor er mit den Stiefeln einmarschierte und auf die Menschen schoss. Und doch: Luka entschied, dass es für Jelica zu gefährlich sei. Sie liess sich überreden und verliess am frühen Morgen des 15. Mai 1992 die Stadt. Am gleichen Tag wurde Tuzla abgesperrt, und das Paar sah sich ein Jahr nicht mehr.

«Am 15. Mai?», fragte ich überrascht. «Ja», antwortete Luka. «1992?», hakte ich nach. «Ja. Am 15. Mai 1992 kam es an der Kreuzung Brčanska Malta zum ersten Mal in Tuzla zum offenen Gefecht.» Mir wurde plötzlich etwas übel.

15. Mai 1992, das war zwölf Tage vor meinem neunten Geburtstag. Das musste falsch sein. Diesen Geburtstag hatten wir schon in Belgrad gefeiert. Und davor waren wir noch etwa eine Woche bei Grossvater Rado gewesen. So nahe konnte uns der Krieg nicht gewesen sein, er musste später angefangen haben. Das Kartenhaus meiner persönlichen Geschichte wackelte, und während die anderen weiter plauderten, hörte ich erneut die Schüsse in den Wäldern und wusste, dass Mutter gelogen hatte. Das nächtelange Hochzeitsgeballere auf den Hügeln um unser Dorf herum? Das war der Krieg. Skianzüge statt Pyjamas? Keine mystische Grippe, sondern Bereitschaft. Fünf Kinder und zwei Frauen mit dem alten Škoda spontan auf dem Weg nach Belgrad? Kein nächtliches Abenteuer, sondern Flucht.

Ich erhob mich, ging ins Bad, schloss die Tür und setzte mich auf den WC-Deckel. Die Schweiz hatte nicht mit netten Ferien beim Vater angefangen, der die meiste Zeit des Jahres dort arbeitete. Ich war ein Flüchtlingskind.

Im Sommer 2010 flog ich in die Schweiz zurück und trat in Basel den Masterstudiengang Osteuropäische Geschichte an. Ich wollte Zahlen, Fakten, Wahrheit. Doch osteuropäische Geschichte bedeutete in der Schweiz noch weitestgehend russische Geschichte, Lehrveranstaltungen zu Südosteuropa gab es kaum. Das war schade, aber nicht schlimm, denn ich fürchtete mich in Basel im Jahr 2010 mehr vor der Wahrheit über die jugoslawischen Kriege als damals, als sie noch in den Dörfern, Städten und Bergen meiner ersten Heimat gewütet hatten.

In unserem neuen Daheim am Vierwaldstättersee, in diesem winzigen Zimmerchen mit der riesengrossen Gemeinschaftsküche und dem luftig weiten Aufenthaltsraum im Wohntrakt der Firma Longhi Bau AG, war der Krieg für mich persönlich weder 1992 noch in den Folgejahren ein wichtiges Thema gewesen. Vater war einer von Dutzenden Saisonniers. Sie stammten aus Portugal, Italien, Spanien, Jugoslawien oder Alba­nien. Immer war etwas los, die Männer kochten, witzelten, fluchten, und manchmal spielten sie auch mit meinem Bruder und mir. Die meisten hatten selber Kinder, nur waren ihre Kinder nicht da.

Spielen mit Pepe im Gemeinschaftsraum.

Ausserdem hatte ich eigene Sorgen. Bei der Einschulung sagte unsere Übersetzerin, ich hät­te die letzte Klasse «nicht gemacht», statt «nicht ganz fertig gemacht», und so wurde ich wegen eines fehlenden Monats erneut in die dritte statt in die vierte Klasse eingeschult. Am ersten Tag nahm ich statt eines Znünis zwei Wörter Deutsch mit. Freundschaften erwiesen sich als schwierig. Ich war auffällig genug, da musste ich niemanden in unser Zwei-mal-drei-Meter-Alleszimmer und in die männergefüllten Gemeinschaftsräume zum Spielen einladen.

Manchmal sagte ich mir auch, dass es so schlimm nicht war und in Bosnien kein richtiger Krieg wütete, denn in einen richtigen Krieg fährt man nicht, und wir fuhren Jahr um Jahr runter. Und doch. Gewisse Dinge waren auch unten anders geworden, das liess sich nicht verdrängen. Tuzla zum Beispiel lag ausser Reichweite, auf der anderen Seite des Majevica-Massivs, ­drüben, samt den meisten unserer Freunde. Da konn­­ten wir nicht hin. Genauso wie wir nicht durch Kroatien fahren konnten, sondern den Umweg über Ungarn und Serbien nahmen. Dreissig Stunden Fahrt und am Ende der Reise immer nur Wälder, denn die Adria vor Tante Borkas Haus war wie Tuzla zu einem Nicht-Ort mutiert, über den man zwar sprechen, den man aber nicht mehr berühren konnte.

Wir beerdigten Orte genauso wie Menschen. Aus der Ferne. Und das Einzige, was von ihnen übrig blieb, waren Erinnerungen. Und Sehnsucht. Die Welt schien sich in schmerzerfüllten Wehen zusammenzuziehen und zu schrumpfen. Nur Friedhöfe gediehen in dieser Zeit. Sie breiteten sich wie Unkraut in alle Richtungen aus, doch statt Löwenzahn wuchsen Grabsteine. Ein neues kollektives Gedächtnis entstand: Jugoslawien löste sich als Staat auf und wurde, wie es der Historiker Pierre Nora ­sagen würde, zu einem Erinnerungsort, einem lieu de mémoire.

Während wir uns krampfhaft erinnerten, interessierte sich in der Schweiz niemand mehr für dieses zerbrochene Experiment zwischen Ost und West. Dafür schmückte das neue, das kriegsgebeutelte Jugoslawien manche Schlagzeile. Journalisten und vermeintliche Experten schrieben sich als schnellgebleichte Historiker in Rage; für viele war Jugoslawien, ähnlich wie «der Balkan» an sich, ein mit Stereotypen behaftetes Schimpfwort.

Die Historikerin Maria Todorova gab mit ihrem Buch Die Erfindung des Balkans 1997 Gegensteuer: Sie zeigte, wie sich der Westen zu Beginn des 20. Jahrhunderts diesen Raum als barbarisch, aggressiv und halbzivilisiert ausmal­te. Laut ihrer Theorie des Balkanismus warfen westliche Beobachter einen einseitigen und vereinfachenden Blick nach Jugoslawien, sie sa­hen im Krieg den natürlichen Zustand kriegsdurstiger Völker von Ewiggestrigen. Den jugoslawischen Kommunismus verstanden sie als zeitlich beschränkte Gefriertruhe für einen seit je schwelenden Hass zwischen den verschiedenen Ethnien in dieser Region.

Das Kollegium St. Fidelis, die Mittelschule Nidwaldens in Stans, beherbergte kaum Leu­te wie mich, dafür reichlich gut situierte Akademikerkinder, die nicht nur Zeitungen, sondern auch populärwissenschaftliche Zeitschriften la­sen. Bei ihnen daheim lag die Politik nicht in einem Sarg im Keller, sondern wurde beim Abendessen als Konversation gepflegt. Hier sprach man nicht nur über Hass und Barbarei wie am Stammtisch im Restaurant Garni, wo Mutter arbeitete. Hier ging es um das «System».

Dass die Sowjetunion im Osten untergehen musste, war eine historische Gewissheit. Dass auch Jugoslawien zerfiel, der unbequeme Zwitter, das blockfreie Gebilde der Südslawen, war ein zusätzlicher Triumph und bewies die Überlegenheit des Westens. Wer einen Sonderweg einschlug, Rosinen aus verschiedenen Systemen pickte und sich als Vermittlerin zwischen anderen Staaten aufdrängte, war unentschlossen und musste absterben. Da waren sich meine Urschweizer Mitgymnasiasten einig, auch wenn sie damit an Jugoslawien all das kritisierten, was sie an der Schweiz liebten. Doch diese Ironie begriff ich leider erst spät. Damals schämte ich mich nur. Wer wollte schon eine ewiggestrige Barbarin sein, ein Jugo?

Im Gegensatz zu den meisten Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien hatte unsere Familie nie einen Flüchtlingsstatus. Das war Mutters Bedingung, und tatsächlich fand mein Vater zusammen mit den freundlichen Damen von der Fremdenpolizei eine andere Lösung, bevor er uns im Juni 1992 in Belgrad besuchte und in einem leicht überfüllten Fernreisebus nach Stansstad holte. Da er bereits seit 1990 in der Schweiz als Saisonnier gearbeitet hatte und für unseren Unterhalt sorgen konnte, erhielten meine Mutter, mein Bruder und ich ein Kurzaufenthaltsvisum, das wir bis Ende 1995 alle drei Monate verlängern durften. Ferner achtete Vater darauf, dass sein eigenes Aufenthaltsvisum ausserhalb der Ar­beits­sai­son sein Saisonniervisum nicht tangierte und er jedes Kalenderjahr neun Monate Arbeitsaufenthalt sammeln konnte. Im Dezember 1994 bekam er das Anrecht auf die Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B), der Rest der Familie ein Jahr später.

Was wie eine bürokratische Formfrage anmutet, war entscheidend: Da unsere Familie nie einen Flüchtlingsstatus gehabt hatte, wurden wir nach dem Krieg nicht abgeschoben und durften in der Schweiz bleiben. Der Preis waren regelmässige Reisen in ein Kriegsgebiet, um unsere Pässe zu erneuern, denn wer kein Flüchtling war, benötigte gültige Dokumente aus seinem Heimatland.

Während meines Studiums in Basel besuchte ich mangels Alternativen Veranstaltungen über die Teilungen Polens, den Totali­tarismus in der Sowjetunion oder Staatlichkeit in Somalia. Was ich lernte, wendete ich auf den Raum des ehemaligen Jugoslawien an und nä­her­te mich, sozusagen von den Rändern her, meinem Krieg. In meiner Masterarbeit schlich ich mich von hinten an ihn heran. Ich thematisierte eine Schnittstelle zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft, die Vergangenheitsbewältigung. Die Friedensforschung besagt, dass nachhaltiger Friede erst möglich ist, wenn die gemeinsame Konflikt­geschichte aufgearbeitet ist. War sie das?

Die Frage stellte ich mir fast zwanzig Jahre nach dem Kriegsende. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Assistenzstelle leitete ich ein Proseminar und wagte mich gemeinsam mit meinen Studenten einen weiteren Schritt an den Krieg heran. Diesmal von vorn: Was waren die Ursachen? Was hatte die Menschen radikalisiert? Wieso konnte der Nationalismus wiederbelebt werden? War es Hass? Ich war erleichtert, als ich feststellte, dass Hass in Jugoslawien, genauso wie in anderen Konflikten, nicht einfach da war, sondern gezielt gesät wurde, um Ängste zu schüren und Menschen aufzupeitschen. Er ist ein politisches Instrument der Entmenschlichung und der Mobilisierung. Hass ist keine Ursache. Hass ist das Ziel.

Wer an den wahren Ursachen für den Konflikt in Jugoslawien interessiert war, konnte aus einem breiten Fächer auswählen. Die Ölkrise von 1973 hatte das Land schwer getroffen, und die weltweite Wirtschaftskrise der 1980er Jahre liess die Inflation in den Himmel steigen. Der bis dahin kritisch diskutierte Finanzausgleich zwischen den finanzkräftigen Republiken im Norden (Kroatien und Slowenien) und jenen im Süden (insbesondere Bosnien und Kosovo) gewann an Brisanz.

Gleichzeitig fürchteten religiöse Führer in einem Jugoslawien, das immer säkularer wurde, um ihren Einfluss. Da auf dem Balkan die nationale Identität durch die Religionszugehörigkeit und nicht durch die Sprache definiert wurde, gaben sich Nationalisten und Kirchen die Hand und stürmten gemeinsam nach vorn. Im Tumult und Geschrei der Lautesten verdrängten Mythen und Halbwahrheiten die Fakten. Erneut zeigte sich, was sowohl der Religionswissenschafter Ernest Renan 1882 als auch rund hundert Jahre später der Politologe Walker Connor beschrieben hatten: Nationalgefühl ist im Glauben an eine Nation und Gemeinschaft begründet und nicht in historisch verifizierbaren Gegebenheiten.

Die Medien bliesen ins Feuer, statt es zu löschen. Gerade im ethnisch stark gemischten Bosnien, wo es zahlreiche konfessionsübergreifende Ehen gab, hörten die Leute von jeher verschiedene Sender – bosnische, kroatische, serbische. Doch mit dem Krieg wurde die Berichterstattung immer gegensätzlicher. So berichtete beispielsweise das serbische Radio, dass die Jugoslawische Volksarmee am 20. November 1991 in Vukovar einmarschiert sei und die Stadt «befreit» habe. In den kroatischen Medien aber erfuhr man, dass dieselbe Armee gemeinsam mit serbischen paramilitärischen Truppen ein Massaker an Kriegsgefangenen und Zivilisten verübt hatte. Wem man vertraute, wurde zu einer Bekenntnisfrage.

Die allermeisten entschieden sich für die eigene Bevölkerungsgruppe, weil der Krieg von allen Seiten als ethnischer Vernichtungskrieg aufgefasst wurde (obwohl nur die muslimische Bevölkerung tatsächlich vom Genozid bedroht und spätestens in Srebrenica auch betroffen war). So bewahrheitete sich auch die Theorie der «Massenzeremonie des Zeitungslesens» des Politikwissenschafters Benedict Anderson: Wer das Gleiche las und über das Gleiche weinte, entwickelte eine gemeinsame Erfahrungswelt, baute eine neue Kontinuität auf und legte so den Grundstein für eine neue Identität.

Ich wäre am liebsten heute noch Jugoslawin. Wir hatten echte Probleme, aber Probleme haben auch die Amerikaner. Wieso griffen ausgerechnet wir zu den Waffen? Rund hunderttausend Tote. Mehr als zwei Millionen Vertriebene. Wie konnten sich Menschen das antun? Zahlen und Fakten gab es – ich jedoch wollte das Gefühl, den Antrieb und den Schmerz verstehen. Also machte ich mich erneut auf die Suche und schrieb diesmal einen Roman. Ich stellte Frauen in den Vordergrund und mit ihnen eine der niederträchtigsten Kriegswaffen, die Vergewaltigung.

Bald wird sich der Friedensvertrag von Dayton, der den Bosnienkrieg 1995 beendete, zum dreissigsten Mal jähren. Das Interesse an Bosnien erlebt einen Aufwind. Das hängt auch mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine zusammen. Die Bilder erinnern viele von uns an die eigene Erfahrung und lösen Gefühle aus, für die wir als Kinder keine Zeit hatten. Die Eltern gingen gebückt und arbeiteten sich kaputt – wir wollten helfen und keine zusätzlichen Probleme schaffen. Dafür lernten wir mit zehn Jahren besser dolmetschen als mancher Masterstudent. Heute sitzen unsere Kinder und die Kinder meiner ehemaligen Mitschülerinnen mit ukrainischen Flüchtlingskindern in den Klassen. Wir erinnern uns und stellen Fragen.

Einfache Antworten gibt es nicht, aber so viel weiss ich: Wenn jemand ewigen Hass zwischen den Völkern als Erklärung für irgendeinen Konflikt bemüht, ist die Person entweder nicht informiert oder handelt mit Kalkül. Beidem sollten Sie mit Misstrauen begegnen. 

(Im September 2024 erscheint beim Zytglogge Verlag mein erster Roman über den Bosnienkrieg «Wenn wir wieder Menschen sind». Vorbestellungen sind in einer Buchhandlung ihrer Wahl ab sofort möglich. )

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4 thoughts on “Ich wäre am liebsten heute noch Jugoslawin

  1. Geschätzte Tanja

    Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien werden uns immer begleiten. Sie wurden und sind (leider) Teil unseres Lebens. Vor allem für uns Menschen aus Bosnien. Ihr hattet das Glück und konntet bereits 1992 dem Wahnsinn entkommen. Mich stimmt es traurig, wenn ich sehe, dass der Nationalismus auf dem Balkan wieder aufflammt und dass wieder über Krieg gesprochen wird. Hoffen wir, dass «nie wieder» auch «nie wieder» bleibt, denn für Kriege findet man immer Kanonenfutter. Ich werde dein Buch auf jeden Fall kaufen und gespannt lesen.

    Liebe Grüsse,
    Mahir

    1. Lieber Mahir, lieben Dank für deine Worte. Meine Familie hatte tatsächlich sehr Glück, sodass ich vergleichsweise eine absolut unbekümmerte Kindheit verbringen durfte. Dafür bin ich sehr dankbar. Auch mich stimmt es traurig zu sehen, dass gewisse Kreise aus den Kriegen nichts gelernt haben. Wie so oft geht es erneut um Macht und Machterhalt. Ich hoffe aber auch, dass wir dieses Mal noch mehr und und noch lauter sind. Ich hoffe, das Buch wird dir gefallen und freue mich auf dein Feedback. Liebe Grüsse, Tanja

  2. Die Erzählung ist so sanft und schön geschrieben, sie macht die Geschichte ertragbar. Mich hat besonders die Stelle mit dem Hochzeitsgeballere gerührt. Wie soll ein Kind den Krieg verstehen, wenn es die Erwachsenen auch nie wirklich schaffen, auch Jahrzehnte später? Vielen Dank für den einfühlsamen Einblick.

    1. Lieber Jan, vielen Dank für deine Zeilen. Im Gefühl beginnt die Menschlichkeit. Und die Menschlichkeit ist unser Schild gegen Krieg, Radikalisierung und Leid. Es freut mich sehr, dass der Text dich berührt hat.
      Liebe Grüsse, Tanja

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